Wenn der Falsche auf der Verbrecherliste steht

Vorausschauende Polizeiarbeit ©Airene / photocase.de
Vorausschauende Polizeiarbeit ©Airene / photocase.de

Das ist mittlerweile bei uns allen angekommen: Wenn wir uns im Internet bewegen, hinterlassen wir Datenspuren. Und während wir diese fleißig auslegen, bekommen wir auf unseren Bildschirmen Werbung angezeigt, die unsere Begehrlichkeiten bestmöglich wecken soll.

Damit ist das Geschäft mit unseren digitalen Fußabdrücken aber längst nicht abgeschlossen. Der technologische Fortschritt befeuert den Big-Data-Boom immer weiter. Gigantische Datenmengen werden in kürzester Zeit analysiert und für Schlussfolgerungen genutzt. Es gibt beispielsweise Unternehmen, die die gesammelten Daten mittels psychometrischer Verfahren aufbereiten, um Verhaltensweisen von Menschen vorherzusagen. Banken, Versicherungen, Arbeitgeber, die Gesundheitsbranche, der Staat und Behörden … sie alle lechzen nach diesen Prognosen und möchten so viele Informationen wie möglich über ihre Kunden, Patienten, Mitarbeiter oder Bürger – so auch die Polizei.

Vorausschauende Polizeiarbeit

Stellen Sie sich vor, die Ordnungshüter würden bereits in einem Haus auf einen Täter warten, der in Kürze dort einbrechen will. Klingt für das eigene Sicherheitsgefühl erst einmal gut. In Deutschland arbeitet die Polizei bereits mit Verbrechensprognosen, dem sogenannten Predictive Policing (deutsch: vorausschauende Polizeiarbeit). Damit will man durch Berechnung von Verbrechens-Wahrscheinlichkeiten kriminelle Taten bereits im Vorfeld verhindern. Precobs (Pre Crime Observation System) heißt eine Software, die die bayerische Polizei einsetzt. Die Software wurde vom deutschen Institut für musterbasierte Prognosetechnik (IfmPt) entwickelt und stützt sich auf Datenbanken, die Täterprofile, frühere Einbrüche, bauliche Gegebenheiten, Infrastruktur und Wetter erfasst. Eine interaktive Karte zeigt problematische Gebiete, in denen Einbrüche häufig auftreten. Bislang erfolgt die Datenerhebung anonym. Kritiker befürchten jedoch, diese könnten ohne große Mühen mit personenbezogenen Daten ergänzt werden. Precobs sei datensparsam, beruhigen die Entwickler.

Algorithmen erstellen eine rote Verbrecherliste

Nicht so datensparsam sind diese polizeilichen Risikoanalysen in den USA. Nach 9/11 ist das Land besessen davon, Verbrechen vorherzusagen, um sie zu verhindern. In Chicago identifizieren die Behörden Bürger, die möglicherweise zukünftig Verbrechen begehen könnten und trägt sie in eine „Heat List“ ein. Mit Software wie Predpol oder Blue CRUSH werden Menschen gezielt für diese Liste gesucht. Daten zu begangenen Straftaten, dem Umgang mit Menschen, die Gangs angehören, Arbeitslosigkeit, Alkohol- und Drogenproblemen, Wohnort etc. bilden die Grundlage für die Liste. Polizeibeamte klopfen dann an die Haustüren von Personen, die nur durch einen Computer-Algorithmus in Verdacht geraten sind, und teilen ihnen mit, dass sie unter verschärfter Beobachtung stehen. Einmal auf die Heat List gekommen, befinden sich diese Menschen ein Leben lang im Visier der Behörden und damit unter Generalverdacht.

Wie weit die Vorhersage-Software bereits weltweit in die Polizeistuben eingedrungen ist, zeigt auf beängstigende Art und Weise der Dokumentarfilm Pre-Crime von Monika Hielscher und Matthias Heeder, der im Oktober in den Kinos gestartet ist. Keine dröge Doku, sondern beinahe Actionfilm-Niveau mit schnellen Schnitten, aber ernstzunehmenden Inhalten – sehr sehenswert.

Fehler bei der Verbrechensbekämpfung

„Pre-Crime“ erinnert mich an „Minority Report“, ein Kinofilm von Steven Spielberg aus dem Jahr 2002. In diesem Fantasy-Thriller wird sehr gruselig dargestellt, was es bedeuten kann, wenn sich Fehler in die Verbrechensvorhersage einschleichen und Personen zu Unrecht auf der Heat List landen.

Und genau hier besteht die Gefahr: Die Daten werden von privaten Unternehmen gesammelt und ausgewertet. Die Unversehrtheit der Daten und die verwendeten Algorithmen unterliegen keinerlei Rechtsprechung. Letztere sind oft patentrechtlich geschützt oder gelten als Betriebsgeheimnis. Die Behörden verlassen sich also auf die Ergebnisse von Auswertungen, die sie selbst nicht verifiziert haben oder verifizieren konnten. Es können und werden Fehler bei der Verbrechensbekämpfung aufgrund von falschen Analysen entstehen. Und kriminelle Elemente werden versuchen die digitale Beweisführung zu unterwandern. Wehe dem, der fälschlicherweise auf einer Heat List landet!

Aktualisierung am 13. November 2018: Die hessische Polizei nutzt mittlerweile die Anti-Terror-Software „Gotham“ des Unternehmens Palantir. Palantir liefern Software ans FBI, Pentagon, die NSA und jetzt auch an die hessische Polizei. Hessens Polizei ist die erste in Deutschland, die mit „Gotham“ arbeitet. Mehr dazu in Süddeutsche Zeitung: Wo die Polizei alles sieht. 

 

c’t: Wenn Software Haftstrafen verhängt

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