Fünf Fragen an … Matthias Eberl

Matthias Eberl ist preisgekrönter Multimedia-Journalist, Dozent und leidenschaftlicher Datenschützer. Aufgefallen ist er uns mit seiner Analyse von 130 Nachrichtenseiten – darunter auch große Häuser wie Zeit und Spiegel, die ein erschreckendes Ergebnis hervorbrachte: Fast alle dieser Medien haben einen eingebauten Facebook-Tracker auf ihren Seiten, der unser Leseverhalten verfolgt. Aber nicht nur Facebook-Nutzer werden getrackt, es betrifft auch Leser, die kein Konto bei diesem Konzern haben. Meist erfolgt das ohne Zustimmung der Nutzer und ist in Sachen Datenschutz mehr als heikel. Hier zur Analyse!

Als wir Matthias wegen eines Interviews angefragt haben, ergab sich ein netter Zufall: Er nutzte als Jugendlicher die Cube-Mailbox, die von Karsten Schramm betrieben wurde.

Wir sind im Jahr 2019 – wie bewegst Du dich in der digitalen Welt?

Sehr vorsichtig. Ich mache mir sehr viele Gedanken, wie ich wenig Datenspuren hinterlassen kann. Das ist gar nicht einfach, weil ich ein großer Fan der Möglichkeiten von Technik und Internet bin. Seitdem ich verstanden habe, dass die Gesellschaft in vielfältiger Weise bedroht ist durch disruptive Unternehmen, fahrlässige Sicherheit oder große personenbeziehbare Datensammlungen, versuche ich aus ethischen Gründen, diese problematischen Teile zu vermeiden. Ich versuche dann, bessere Alternativen zu unterstützen. Beruflich lese ich täglich meine Feeds bei Twitter und Mastodon, privat bin ich auch noch gerne bei Pixelfed, Wikipedia und Openstreetmap aktiv.

Das Internet steht uns seit mehr als 25 Jahren zur Verfügung – was war Dein persönlicher „Meilenstein“?


Ich erinnere mich an drei persönliche Meilensteine, und sie hatten immer mit einer inspirierenden Grenzüberschreitung zu tun: Der erste war, als ich Anfang der 90er Jahre meinen Amiga erfolgreich über Modem mit einer Mailbox verbunden hatte. Als plötzlich fremde Inhalte auf meinem Bildschirm zu sehen waren, war mir intuitiv klar, dass sich hier riesige Informationswelten eröffnen.
Der zweite Moment war, als ich als Student in den 90ern mit einem amerikanischen Austauschfreund Doom spielte: Eine irre Erfahrung, mit dem Freund auf der anderen Seite des Atlantiks gemeinsam in eine virtuelle Welt einzutauchen.
Und der dritte Meilenstein war die Weblogszene ab 2001: Die Erfahrung, dass man auch mit einem kleinen Publikum beginnt, die Wahrnehmung der Welt ins Kreative zu verschieben und im Alltag Neues zu entdecken. Und dass man mit dem gemeinsamen Teilen von Texten und Fotos künstlerische Stile und Blickweisen entwickeln kann.

Von wem sollte der Impuls kommen, um der Datensammelwut großer Unternehmen entgegenzuwirken?

Zu dieser Frage höre ich oft einseitige Antworten: Die einen sehen nicht ein, dass sie mit mühsamem Selbstschutz die Schäden anderer beheben sollen und fordern den Gesetzgeber. Die anderen heben den Zeigefinger und konfrontieren z.B. Journalisten oder Medienseiten zu Recht: „Wie könnt ihr Facebook kritisieren und seid selbst dort?“

Dabei ist der naheliegendste Ablauf doch das parallele Zusammenwirken beider Positionen: Die Politik kann radikalere Änderungen durchsetzen, wenn viele Menschen bereits auf ein anderes Verhalten umgestiegen sind. Und auf der anderen Seite geraten die besten alternativen Lebensmodelle sehr schnell an die Grenzen oder es entstehen Ungerechtigkeiten: Aktuell ist etwa ein Unternehmen, das die DSGVO beachtet und ohne Facebook trackt, enorm benachteiligt – genauso wie die Privatperson, die Facebook nicht nutzen will und dadurch Kontakte einbüßt. Für eine schnelle Veränderung brauchen wir also einerseits viele Bürger, die bei Tracking auch mal „Nein danke“ sagen und andererseits NGOs und politische Personen und Behörden, die entsprechende Gesetzesänderungen vorantreiben und dann auch mit entsprechendem Personal umsetzen.

Worin siehst Du die Herausforderungen für die nachfolgende Generation?

Sie müssen die Demokratie durch die Veränderungen des Internets hindurchretten. Ich mache mir ja keine Sorgen, dass Amazon weiß, welche Schuhgröße ich habe. Sondern um die Big-Data-Analysen, mit denen enormer Missbrauch betrieben werden kann. Die heutige Werbeindustrie ist ein gigantisches psychologisches Experiment, wie man Verhalten vorhersagen und beeinflussen kann. Das kann alles gegen die Demokratie und den freien Willen des Einzelnen eingesetzt werden, bis hin zu Diktatur oder Abhängigkeit. Die andere große Baustelle ist die ungehinderte Kommunikation im Internet: Die verlorene Gatekeeper-Funktion der Medien ist aus demokratischer Sicht erstmal erfreulich, weil das Teilhabe für Gruppen bedeutet, die vorher ausgegrenzt waren. Aber jetzt muss man neue Ideen entwickeln, wie diese neuen Meinungen (auch die unbequemen, im Rahmen der Verfassung) frei zirkulieren können, ohne dass es zu systematischen Propaganda- und Fake-News-Kampagnen kommt, die das Bild verzerren, das die Gesellschaft von sich selbst macht.

Wie schützt Du dich, um Deine Privatsphäre zu wahren?

Mein Grundkonzept ist die Abtrennung möglichst vieler Alltagsdaten von den persönlichen Identifiern. So nutze ich zum Beispiel zwei Browser mit zwei IP-Adressen, wobei einer nur für alle Klarnamen-Logins verwendet wird und der andere für anonyme oder pseudonyme Internetnutzung. Das gleiche auf OS-Ebene: Als Multimedia-Journalist brauche ich manchmal ein iPad oder Windows – aber beides wird komplett ohne persönliche Daten und nur für wenige Zwecke genutzt. Persönliche Logins und meinen Klarnamen nutze ich nur unter meinem Standardsystem: ein Debian-Linux. Bei meinem Smartphone habe ich diese Aufspaltung in zwei Geräte mittlerweile aufheben können und nutze nur noch trackingfreie Apps (die meisten Open-Source von F-Droid) auf einem trackingfreiem Android (Lineage-OS ohne Google Apps). Ohne Playstore kommen als Messenger nur Threema, Signal und XMPP (Conversations) in Frage – von Telegram halte ich nicht viel.

Weiterhin nutze ich fast immer Bargeld, da die Gesellschaft und insbesondere der kritische Journalismus auch mal unerkannt bezahlen können muss. Zugtickets kaufe ich am Automaten. Fast alle Waren kaufe ich in lokalen Geschäften (teilweise mit pseudonymer Vorbestellung zur Bar-Abholung). Ich möchte damit einen kleinen Teil dazu beitragen, dass anonyme Infrastruktur erhalten bleibt. Virtuelle Güter wie MP3s oder Software kaufe ich mit Gutscheinen unter falschem Namen (zum Glück hat man nach Telemediengesetz ein Recht auf Pseudonyme).

Wo immer es geht, setze ich Verschlüsselung ein, insbesondere bei E-Mails. Privat kommuniziere ich nur noch in Ausnahmen unverschlüsselt.

Die Maßnahmen habe ich so gewählt, dass sie für alle funktionieren, weil mich auch hier wieder der gesellschaftliche Wandel und nicht so sehr mein persönlicher Schutz interessiert. So habe ich auch immer genug Tipps für Journalisten, die meine Informantenschutzkurse besuchen.

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