Wer kumuliert, manipuliert

oder: Über das Wetter

Gastbeitrag von Aleksandra Sowa (@kryptomania84)

Wer Daten kumuliert, kann sie auch manipulieren, sagte Paul Nemitz, Hauptberater der EU-Kommission, auf dem Kongress zu Digitalisierung und Demokratie – #DigiDemos – der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Dabei betonte er einen wesentlichen Unterschied: Es gebe Daten mit einem hohen wirtschaftlichen Wert, etwa die Wetterdaten oder die Daten, die eine Turbine in einem Kraftwerk produziert. Diese Daten seien der Rohstoff der Zukunft. Oder das Öl. Oder der Diesel. Die Währung oder das Kapital. Oder „Datenhumus“, wie sich das Publikum und die Referenten auf der „Smart Data“-Konferenz des BMBF und BMWi geeinigt haben, gerade noch rechtzeitig bevor man sich auf die Suche nach einem neuen Verbrennungsmotor für den „Diesel“ der Zukunft gemacht hat. Daten, anders als Diesel, sind nämlich keine endliche Ressource.

Ja, bestätigte Nemitz, Daten seien das Öl der Zukunft. Das gelte aber nicht für die persönlichen Daten. Diese dürften nicht als Wirtschaftsgut behandelt werden. Kein Diesel und auch keine Währung – hier geht es um die Freiheit jedes Einzelnen. Ein Unterschied, der in der Debatte nach wie vor zu wenig beachtet wird: zwischen „persönlichen Daten, die eine Person identifizieren oder ihre Identifikation möglich machen, und Daten, die keine persönliche Daten sind und auch niemals werden“.

Datentrennung

Wenn Politiker oder Unternehmen fordern, alles, was sich digitalisieren lässt, zu digitalisieren, dann gilt das für alle Daten – bis auf die personenbezogenen. Und ebenso wenn die Kanzlerin die Wissenschaft dazu aufruft, Vorschläge für eine Datensteuer zu entwickeln, oder wenn die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles sich für den Vorschlag zur Datenteilung einsetzt (beide Ideen stammen aus dem Buch von Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge Das Digital). Oder wenn der Internetaufklärer Sascha Lobo dann kommentiert, dass selbst, wenn Siemens oder VW von Google oder Facebook Nutzungsdaten übergeben würden, könnten diese Konzerne „nicht im Ansatz den Wert erwirtschaften, den die Plattformen daraus ziehen“ können, dann übersieht man gerne diesen kleinen, aber wesentlichen Unterschied. Und damit auch gleich die Tatsache, dass das „Grundrecht auf Datenschutz […] nur für persönliche Daten [gilt]“, erklärt Paul Nemitz.

Nicht der Datenschutz ist am Geschäftsmisserfolg, an sinkenden Verkaufs- und Exportzahlen oder Wettbewerbsunfähigkeit schuld, sondern vielmehr schlechter Service, marodes Management, unehrliche Geschäftspraktiken, schlechte Software, ineffiziente (oder keine) Entscheidungen, Klüngelei, Korruption – oder was sonst noch für die großen Firmenskandale der Vergangenheit verantwortlich war.

Und es fliegt doch (nicht)!

Ob VW oder Daimler – deutsche Autokonzerne sitzen seit Jahren auf einem Datensatz von enormem wirtschaftlichen Wert. Und dieser Datenberg wächst ständig. Sie haben Zugang zu den Daten, die Arbeit der Motoren erfassen, zu Daten aus den Sensoren, die die Funktionen und Werte fast aller Fahrzeugteile messen. Wie viele Sensoren in einem Auto tatsächlich verbaut werden, ist nicht bekannt. Es sollten zwischen 80 und 100 sein. Autokonzerne haben Daten aus Tests und Probefahrten gesammelt. An der Verwendung dieser Daten hindert sie kein Mensch – und ein Recht darauf gibt es erst recht nicht. Aber statt diese Daten intelligent auszuwerten und dazu zu nutzen, den Brennstoffverbrauch oder die Arbeit ihrer Motoren zu optimieren, haben sie sich dazu entschlossen, mithilfe moderner Technik Software zu manipulieren.

Berücksichtigt man diesen enormen Datenschatz, beginnt man sich ernsthaft zu fragen, warum nicht schon längst selbstfahrende Autos produziert oder wenigstens welche entwickelt werden. Nicht ausgeschlossen, dass man mit diesen Daten bereits ein Auto zum Fliegen hätte bringen können.
Angesichts der Unfähigkeit – oder des Unwillens –, aus den Daten Kapital zu schlagen, stellt sich die Frage, warum die deutsche Industrie dennoch so erpicht darauf ist, personenbezogene Daten ihrer Kunden, Käufer, Mitarbeiter etc. zu erfassen und zu sammeln. Nicht, um Prozesse oder Produkte zu optimieren, denn das wäre heute schon möglich. Sondern um die Arbeitsdisziplin und soziale Kontrolle zu verbessern? Politik, so die These von David Graeber, sei ebenso wenig wie Industriekapitäne daran interessiert, Technologien zu fördern, die den sozialen Wandel oder Zukunftswelten herbeiführen könnten. Das würde auch erklären, warum sich die Bundesregierung so wenig für die Beseitigung der Umsetzungsdefizite aus dem neuen europäischen Datenschutzrecht, wie ihr von Kritikern vorgeworfen wird, interessiert.

Ein automatisiertes Fahrsystem eines Autos muss nicht wissen, wer hinter dem Steuer sitzt, um von A nach B zu kommen. Genauso wenig, wie man wissen muss, wer unter dem Regenschirm steht, um das Wetter vorherzusagen.

Alle sprechen vom Wetter

Es ist ausgerechnet das Wetter, das für das Scheitern des Versprechens, mit Datenauswertungen und Datenanalyse das Leben der Menschen und ihrer Umwelt besser, lebenswerter und leichter zu machen, steht. Denn trotz Zugang zu enormen Datenmengen, zu historischen wie „Live“-Daten aus allen Teilen des Globus und sogar des Weltalls, gelingt es offenbar immer noch nicht, eine korrekte und zuverlässige Wettervorhersage zu erstellen. Wir können Menschen etwas besser als im Mittelalter vor Unwetter und Katastrophen warnen, gewiss. Aber auch nicht wesentlich besser als in den 1980ern. Trotz all der Daten, Disruptionen und des rasenden Fortschritts. Und verhindern können wir die Katastrophen erst recht nicht.

Zudem entpuppt sich das Versprechen der besseren (und billigeren) Produkte, die durch penible Erfassung des Kundenverhaltens ermöglicht werden sollten, zunehmend als ein Trugschluss: Wer Bedürfnisse der Käufer und Kunden ausgewertet hat und ihre Präferenzen genau kennt, kann für das von ihnen bevorzugte Produkt einen höheren Preis verlangen in der Annahme, dass er akzeptiert wird. Der Reservationspreis, die Zahlungsbereitschaft eines Käufers, ist höher für die präferierten Produkte. Grundkurs Mikroökonomie. Wer es weiß, kann es anwenden – wer kumuliert, kann manipulieren. Google weiß es: Ausgerechnet der ehemalige Professor an der Universität Stanford und Autor des Buches Grundzüge der Mikroökonomik, mit dem auch an den deutschen Universitäten der junge Adept in die Arkana der Ökonomie eingeführt wird, Hal R. Varian, ist dort seit 2007 Chefökonom.

Wenn man an der Supermarktkasse einen höheren Preis für das Obst als der Nachbar bezahlt, wenn eine Hebamme, die nachts über Landstraßen zur nächsten Entbindung rast, sich keine Autoversicherung mehr leisten kann oder wenn einem Häuslebauer sein Kredit gekündigt wird, weil er sich dagegen wehrt, 200 Euro an den Abmahnanwalt zu zahlen und dieser kurzerhand sein Konto pfänden lässt, spätestens dann erinnert man sich eventuell an die Mahnung von Paul Nemitz, die Idee vom Wirtschaftswachstum solle nicht über die der Grundrechte, der Menschenrechte oder der sozialen Marktwirtschaft hinauswachsen. Es könnte dann aber bereits zu spät sein. „Wir müssen deshalb in die Datenwirtschaft und auch in den Datenschutz investieren, das schließt sich nicht gegenseitig aus, sondern ist komplementär“ , empfehlt Nemitz.

Digital politics, Aleksandra Sowa
Digital Politics, Aleksandra Sowa

Vielen Dank an Aleksandra Sowa. Ich freue mich sehr, dass ich die geschätzte Twitterkollegin, Autorin diverser Bücher und Essayistin des The European für diesen Gastbeitrag gewinnen konnte. Mehr Informationen über das Thema „Wer kumuliert, manipuliert“ sind auch in ihrem  jüngsten Werk Digital Politics. So verändert das Netz die Demokratie. 10 Wege aus der digitalen Unmündigkeit zu lesen, das ich an dieser Stelle sehr empfehle.

Dr. Aleksandra Sowa gründete und leitete zusammen mit dem Kryptologen Hans Dobbertin das Horst Görtz Institut für Sicherheit in der Informationstechnik, ist als Dozentin, zertifizierte Datenschutzbeauftragte, Datenschutzauditor und IT-Compliance-Manager tätig.

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Ein Kommentar

  1. Hallo, ich bin das erste Mal hier auf dieser Website und möchte an dieser Stelle klar und unverschlüsselt 😉 darlegen, dass ich der Aussage, siehe Zitat, Diesel sei eine endliche Ressource, nicht zu stimme.
    Zitat: „Oder „Datenhumus“, wie sich das Publikum und die Referenten auf der „Smart Data“-Konferenz des BMBF und BMWi geeinigt haben, gerade noch rechtzeitig bevor man sich auf die Suche nach einem neuen Verbrennungsmotor für den „Diesel“ der Zukunft gemacht hat. Daten, anders als Diesel, sind nämlich keine endliche Ressource.“
    Fakt ist, alte leergepumpte Quelle füllen sich wieder. Siehe hier zum Beispiel: https://www.expresszeitung.com/gesellschaft/umwelt/610-der-grosse-oelschwindel .
    Die Behauptung, Erdöl sei endlich, dient meiner Meinung nach nur der Preistreiberei. Aber etwas Gutes hat das Ganze. Der sparsamere Verbrauch durch effizienteren Technologien von diese (un)endlichen Ressourcen hat damit seinen Lauf genommen….

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