Datensammeln: Vom Nepp und Schlepp im Netz

Wie dein Nutzerprofil permanent gefüttert wird

Datennetz @uwee / photocase.de
Hinein ins große Datennetz @uwee / photocase.de

Ich bin schon ziemlich lange „online“; das begann bereits in den 1980er Jahren mit Mailbox-Aktivitäten und setzte sich später im Usenet und schließlich im Internet fort. Es war eine interessante Zeit voller persönlicher Erfahrungen und dem unbeschwerten Entdecken schier unbegrenzter Möglichkeiten der neuen Online-Welten.

Aber diese Leichtigkeit, mit der ich jahrelang digitale Dienste ausprobierte, ist verflogen. An ihrer Stelle regt sich heute ständig ein ungutes Gefühl, das mich zum Innehalten zwingt. Lese ich e-mails, gucke ich auf den Absender, ob der von Googlemail stammt. Möchte ich für Familienmitglieder oder Freunde im Internet etwas suchen, denke ich zunächst darüber nach, was diese Gefälligkeit womöglich aus meinem digitalen Fingerabdruck macht. Will mein Sohn seine lang ersehnten „Nikies“ in einem Online-Shop bestellen, bekomme ich einen Schweißausbruch, wenn ich den Anbieter nicht bereits seit vielen Jahren als zuverlässiges und seriöses Unternehmen kenne.

Bin ich paranoid?

Gute Frage. Ich weiß zumindest, was infolge meiner Aktivitäten passiert. Ein einfaches Beispiel dazu: Ich suche auf Google ein Gazpacho-Rezept. Oder ich poste ein Foto dieser spanischen Kaltsuppe auf Facebook, nachdem ich sie zubereitet habe. Diese harmlose Aktion löst im Hintergrund leise und unsichtbar ein rechnerisches Feuerwerk aus: ER mag spanisches Essen, dann ist ER sicher an dem Reiseland Spanien interessiert. Es ist Sommer. Dann braucht ER vielleicht einen Grill, ganz bestimmt Sonnencreme. ER kocht gerne…
Eine harmlose Suchanfrage oder ein Posting und sofort wird mein Nutzerprofil konstruiert beziehungsweise erweitert und es werden Rückschlüsse auf meine möglichen zukünftigen Handlungen gezogen. Diese Spuren sammeln und werten Unternehmen dankbar aus und die Werbeschlacht folgt ad hoc – zum Beispiel mit den heißesten Flugschnäppchen von spanischen Airlines, egal auf welchen werbefinanzierten Seiten ich gerade unterwegs bin.

Supermarktkette weiß vor Vater, dass Tochter schwanger ist

Ich erinnere mich auch (un-)gern an das Schwangerschafts-Beispiel, das bereits 2012 im New York Times Magazin für große Aufregung sorgte. Ein Vater beschwerte sich bei der Supermarktkette Target, dass seine noch schulpflichtige Tochter mit Coupons belästigt werde, die Angebote für Babyware enthalten. Ob der Konzern denn seine Tochter zu einer verfrühten Mutterschaft verführen wolle, beschimpfte der Vater das Unternehmen. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass die Tochter bereits schwanger war und es noch verheimlicht hatte. Und warum wusste Target das vor dem zukünftigen Großvater? Die Tochter kaufte mit ihrer Kundenkarte einige Produkte, die unter das Kriterium „Schwangerschaft“ fielen, wie zum Beispiel eine große Tasche, Magnesiumtabletten, Kosmetik ohne Duftstoffe, bequeme Kleidung und so weiter. Dumm gelaufen.

Unternehmen beschäftigen sich mit Datensammeln und Zukunft

Der Verkäufer im Dorfladen kannte früher das Kaufverhalten und die Vorlieben seiner Kunden auch sehr genau. Er wusste, dass Frau Meier gerne Dosenware kaufte und Herr Schmitt keinesfalls das „Scherzerl“1 des Leberkäses an der Wursttheke mochte. Heute jedoch sammeln fremde Unternehmen von mir alle möglichen digitalen Anekdoten – auch solche, die ich im Dorfladen wohl nicht erzählt hätte – und verfüttern diese häppchenweise an mathematische Algorithmen. Diese schließen daraus auf mein Geschlecht, meine Vorlieben, mein Einkommensverhältnis, meinen Wohnort, meinen Beziehungsstand, die Anzahl meiner Kinder, meine Reiseziele und vieles mehr und – voilà – habe ich einen digitalen Fingerabdruck. Dieser hat nur den Nachteil, dass er mir nicht gehört. Für die blut… – Pardon – datensaugenden Unternehmen ist er indessen bares Geld wert. Und sie sorgen dafür, dass ich mich möglichst an keinem digitalen Ort der Welt mehr gegen diesen Aderlass zur Wehr setzen kann. Erst recht dann nicht, wenn ich mich auf die überall ausgelegten vergifteten Köder in Gestalt vermeintlich kostenloser Social-Media-Dienste stürze.
(1 bayerisch für „Endstück“)

Paranoid? Wohl kaum! 

Dass man gute Dienstleistungen nur anbieten kann, wenn man seine Kunden kennt, ist eine Tatsache. Insofern hätte ich gegen eine eingeschränkte Datenfreigabe an meine speziellen Lieblingsanbieter im Internet auch nichts einzuwenden. Im digitalen Alltag kämpfe ich jedoch mit dem Problem, dass ich die Algorithmen, die irgendwo mit meinen Daten irgendwas anfangen, nicht kenne, geschweige denn beeinflussen kann. Auch gibt es für die Sammler keine Verpflichtung zur Löschung veralteter oder irrelevanter Informationen. Die Big-Data-Rechenzentren liegen irgendwo verteilt auf unserem Planeten, teilweise in Ländern ohne rechtsstaatliche Strukturen.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch demokratisch gewählte Regierungen und systemrelevante Branchen wie Banken und Versicherungen diese Schätze plündern und im Tagesgeschäft auswerten. Und wer stellt dann sicher, dass diese Daten nicht, zum Beispiel durch erratische Algorithmen oder falsche Rückschlüsse, fehlerhaft sind? Oder gar durch Manipulation gezielt verfälscht wurden? Stichwort: Beweislastumkehr.

Die Leichtigkeit bei der Nutzung von Online-Diensten wird bei mir wohl nicht mehr zurückkehren und dieses erste Zurückzucken, dieses Innehalten vor dem Ausprobieren neuer Angebote wird mir bleiben – zumindest und erst recht, wenn diese vermeintlich kostenlos sind. Schade eigentlich.

Heißt das in Zukunft: Finger weg vom Internet? Nein, aber wenigstes einige Vorsichtsmaßnahmen sollte jeder treffen. Dazu mehr in einem meiner nächsten Blogbeiträge.

Ein interessanter Beitrag auf der re:publica 2016 von Andreas Dewes (englisch):
„PLENTY TO HIDE: THE TOXICITY OF PERSONAL INFORMATION IN THE „BIG DATA“ AGE“

Wie geht es Ihnen beim Gedanken an das „große Datensammeln„? Freue mich auf Ihren Kommentar!

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