Privatsphäre von Kindern oder Spionage im Kinderzimmer

Am 12. Oktober 2017 aktualisiert (Artikel-Ende).

Nein! Keine Spionage im Kinderzimmer @skyla80 / photocase.de
Kinder abhören
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Wie finden Sie diese Vorstellung: Puppen im Kinderzimmer dienen als Abhörsysteme? Ich glaube, so kranke Phantasien hatte nicht mal der englische Schriftsteller George Orwell in seinem berühmten Klassiker „1984“. (Randbemerkung: Ich muss diesen Roman unbedingt einmal wieder lesen.)

Seit wenigen Jahren ist das Realität. Der amerikanische Spielzeughersteller Mattel hat zusammen mit dem Startup „Toy Talk“ eine Puppe namens „Hello Barbie“ auf den Markt gebracht, die Kindern zuhören und mit ihnen sprechen kann. Die Puppe ist mit Mikrofon, Lautsprecher und WLAN ausgestattet und kann, ähnlich wie Apples Kommunikationsassistent „Siri“, die Gespräche aus der Umgebung aufzeichnen und über den Atlantik an die Server des Spielwarenherstellers senden. Diese werten die Informationen aus und schicken eine passende Antwort ins Kinderzimmer und sehr wahrscheinlich noch andere Dinge werweißwohin.

Unternehmen belauscht Gespräche meines Kindes

Ist das nicht eine gruselige Vorstellung? Ein Unternehmen hört die Gespräche meines Kindes mit? Jedes Wort, das dem Sprössling in seinem persönlichen Reich aus dem Munde kommt. Als vermeintliche Existenzberechtigung für diese Wanze sind die Aufzeichnungen auch für die Erziehungsberechtigten abrufbar. Damit spionieren Eltern die eigenen Kinder aus! „Hello Barbie“ gibt es in Deutschland noch nicht, dafür aber ähnliche Spielzeuge dieser Art, zum Beispiel die Puppe „My Friend Cayla“, ein Spielzeug-Roboter namens Spheri BB-8 oder Kindertablets mit Lernprogrammen.

Dass hier Unternehmen in die Privatsphäre eindringen ist das eine. Der Umgang mit den anfallenden Gesprächsdaten das andere. In der Datenschutzerklärung von Toy Talk steht, dass „Hello Barbie“ die Aufnahmen speichern, verarbeiten, analysieren und überprüfen darf. Im Klartext: Mit den Daten von Kindern können Geschäfte gemacht werden. Die interaktive Puppe war außerdem schon mehrfach im Visier von Hackern. Auch das Model „My FriendCayla“, das es in Deutschland zu kaufen gibt, hatte schon „Eindringlinge“. Ken Munro, ein Sicherheitsexperte bei Pen Test Partners, schaffte es Anfang 2015, das System zu hacken.
Gott sei dank erhielt „Hello Barbie“ 2015 eine passende Auszeichnung: Das Spielzeug wurde mit dem „Big Brother Award“ beehrt. Dieser Preis wird jährlich an Unternehmen verliehen, die die Privatsphäre von Menschen ignorieren und sich an intimen Daten bereichern.

Abhörpuppen im Bundestag

Das Thema „Abhörpuppen – Datenschutz im Kinderzimmer“ hat Renate Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Frühjahr 2016 mit einer kleinen Anfrage in den Bundestag eingebracht. In der Antwort der Bundesregierung heißt es, dass Kinder sehr wohl verletzliche und schutzbedürftige Verbraucher seien, verweist dabei auf die Verantwortung der Eltern und die EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO), die voraussichtlich 2018 in Kraft treten wird.

Lasst die Kinder spielen und schützt ihre Privatsphäre!

Unabhängig von Gesetzen – mein Appell als Vater von vier Kindern: Bitte schützt die Privatsphäre und damit einhergehend auch die unbefleckte Zukunft eurer Kinder. Verbannt diese Art von Spanner-Spielzeug aus den Kinderzimmern. Spätestens, wenn der Nachwuchs eigene Geräte wie Smartphones oder Tablets bedient, sollte er zumindest eine Ahnung davon haben, was sich bei deren Nutzung im Hintergrund abspielt und wer Interesse an seinen Daten hat. Wenn das aber die Eltern selbst nicht wissen, geschweige denn praktizieren? Es bräuchte dringend einen Doktor Sommer für Privatsphäre.

Lasst Kinder spielen – ohne WLAN und gierige Unternehmen im Hintergrund. Ruhe in Frieden – George Orwell.

Aktualisierung am 20. Februar 2017

Sehr gut, die Bundesnetzagentur hat entschieden: Die Puppe „My Friend Cayla“ muss zerstört werden, der Besitz ist strafbar. Die Bundesagentur sieht in der Puppe eine „verbotene Sendeanlage“. Losgetreten hat diesen Fall der Jurastudent Stefan Hessel von der Universität Saarland. Hier erfahren Sie mehr zu den juristischen Hintergründen.

Neben den juristischen Schwächen hat Hessel auch technische Fehler festgestellt. „Die Technik verbirgt sich im Inneren der Puppe“, ihre Kleider verdecken den Lautsprecher. Wenn das Mikrofon eingeschaltet ist, solle die Halskette leuchten, so Hessel. Bei einigen Geräten funktioniere die Halskette aber nicht. Man merkt damit also nicht, wenn das Mikrofon angeschaltet ist.

Der Hersteller Vivid will dieses Urteil natürlich nicht annehmen und geht gerichtlich dagegen vor.

Aus meiner Sicht stellt aber nicht nur die Puppe „My Friend Cayla“ eine Gefahr dar. Auch Geräte mit Mikrofon wie Amazon Alexa und Google Sprachassistenten sind Wanzen im Haus.

Aktualiserung am 12. Oktober 2017

Nach Protest von mehreren Organisationen und aus der Politik bringt der US-Spielwarenhersteller Mattel seinen smarten Assistenten für die Kleinen „Aristotle“ nicht auf dem Markt.

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