Christine Debold verantwortet mit einem Team des Fachbereichs Medienpädagogik des Pädagogischen Instituts in München das Projekt „Konzept Münchner Medienbildung“ (KoMMBI). Dabei begleiten und coachen sie seit Dezember 2016 acht Kindertageseinrichtungen, zwei Realschulen, zwei Gymnasien und vier berufliche Schulen mit dem Ziel, den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Medienkompetenz zu vermitteln.
Welche Erfahrungen die ausgebildete Gymnasiallehrerin und Medienpädagogin dabei macht, erzählt sie im folgenden Interview:
Wie ist Ihre Erfahrung mit der digitalen Bildung im Klassenzimmer?
Das ist eine äußerst heterogene Landschaft. Bereits innerhalb der Schulen der Stadt München, die wir ja betreuen, gibt es riesengroße Unterschiede. Am besten ausgestattet sind in der Regel die beruflichen Schulen. Die haben für ihre Spezial-Software meist lokal betreute Netze mit WLAN. Ganz am unteren Ende bei der Technikausstattung stehen die Grund-, Mittel- und Förderschulen. Dort gibt es meist nicht mal einen herkömmlichen PC im Klassenzimmer. Und irgendwo dazwischen sind die allgemeinbildenden Schulen. Viele müssen sich umständlich Medienwägen mit Laptop und Beamer ins Klassenzimmer schieben oder während des Unterrichts in Computerräume umziehen. Mobile Geräte wie Tablets gibt es noch fast nirgendwo. Das ermutigt natürlich nicht besonders zur Nutzung digitaler Medien. Wenn ich Medieneinsatz umständlich einplanen muss, werde ich ihn nie selbstverständlich nutzen.
Auch bei den Lehrkräften sind die Unterschiede sehr groß. Viele arbeiten schon lange und gerne mit Medien, andere sind unsicher und fühlen sich überfordert.
Worauf kommt es bei Medienkompetenz besonders an?
Das Wichtigste ist, selbstreflektiert und verantwortlich mit digitalen Medien umzugehen. Das gilt für Lehrkräfte wie SchülerInnen gleichermaßen. Dazu muss ich aber wissen, wie Medien funktionieren, wie man sie einsetzen kann und zu welchem Zweck. Und deshalb darf man digitale Medien auch nicht aus der Bildung heraushalten, sondern muss sie in die Bildungseinrichtungen reinholen. Man darf auch mal ein Scheitern riskieren, das gehört zu Prozessen dazu. Wichtig ist auch, dass man die Kinder und Jugendlichen mit ins Boot holt und ihre medialen Kompetenzen ernst nimmt.
Was fällt Kindern und Jugendlichen besonders leicht, wo haben sie Probleme?
Konsumieren ist einfach, das geht uns Erwachsenen auch so. Selber machen ist schwieriger. Was mich aber immer bei Kindern und Jugendlichen begeistert ist, wie schnell und einfach sie sich auf Dinge einlassen, von denen sie glauben, sie würden ihnen schwer fallen. Ich soll ein Erklärvideo zum Konjunktiv machen? Niemals, das kann ich nicht, und Lust hab ich auch nicht. Wenn man SchülerInnen dann aber dazu bringt, sich dranzumachen, kommen sie ganz schnell in einen Zustand, in dem sie sich mit Spaß mit vermeintlich schwierigen Dingen beschäftigen. Und dann haben sie plötzlich den Konjunktiv verstanden, und nebenbei auch noch eine Menge anderer Dinge gelernt.
Was brauchen Schulen, damit sie Kinder und Jugendliche auf die digitale Zukunft vorbereiten können?
Sie brauchen pädagogische Konzepte, die auf die jeweilige Schule angepasst sind. Nicht alles geht in jeder Schule, das ist beispielsweise abhängig von der technischen Ausstattung und von Vorgehensweisen. Wenn ich zum Beispiel die SchülerInnen mehr eigenverantwortlich arbeiten lassen möchte, brauche ich kein Whiteboard, das vorne im Klassenzimmer steht. Dann brauche ich eben mobile Geräte wie Tablets.
Außerdem sind Mut, Freiräume zum Ausprobieren, Schulleitungen, die das Konzept unterstützen und die Bereitschaft, sich fortzubilden, sehr wichtig.
Mir fällt dazu das SAMR-Modell ein (siehe Illustration). Das veranschaulicht den Prozess zur Integration von Lerntechnologie recht gut. Aus meiner Sicht macht es Mut, weil es egal ist, ob ich im Paddelboot ganz links sitze oder das U-Boot ganz rechts bin. Hauptsache, ich bleibe nicht am Ufer stehen.
Und das Allerwichtigste: Schulen brauchen die Erkenntnis, dass wir alle noch gar nicht wissen, wie die Zukunft der jungen Menschen aussieht, die wir ausbilden. Wird es dann noch nötig sein, sich über einen längeren Zeitraum konzentrieren zu können? Welche Rolle wird Faktenwissen spielen in einer Zeit, in der das ganze Wissen der Welt von jedem und von überall abrufbar ist? Das wissen wir nicht.
Beim Thema Datenschutz fallen Ihnen symbolisch die Mundwinkel nach unten. Warum?
Leider nicht nur symbolisch. Datenschutz ist wichtig und richtig, keine Frage. Leider bremst er, so wie er gegenwärtig im Bereich der Bildung gehandhabt wird, Schulen in Deutschland aus. Dies zeigt sich besonders jetzt sehr schmerzhaft, weil sich Schulen endlich auf den Weg machen, die Herausforderungen der Digitalisierung der Bildung anzunehmen.
Ein Beispiel: Kürzlich erzählte ein Kollege, er sei in einer Schule gewesen, die ganz stolz darauf war, einen Klassensatz Tablets angeschafft zu haben. Von ihm wollten LehrerkollegInnen wissen, wie sie das Gerät sinnvoll einsetzen können. Als er vor Ort war, merkte er, dass er mit den Tablets rein gar nichts machen konnte. Weder Fotos noch Texte konnten auf den Geräten gespeichert werden. Warum? Datenschutz. Schließlich könnte auch jemand anders dieses eine Tablet mit diesem Bild von jenem Schüler in die Hand bekommen…
Datenschutz: Die Schulen reagieren darauf – verständlicherweise – mit Unsicherheit und Überforderung. Wenn ich mich möglicherweise strafbar machen könnte, dann mach ich’s halt gar nicht. Und schon sind wir wieder zurück beim klassischen Unterricht mit Buch, Heft und Stift und weit weg von dem, was wir eigentlich wollen.
Was wir brauchen, sind eindeutige Aussagen der verantwortlichen Stellen, die die datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht restriktiv und verhindernd auslegen und dadurch noch mehr Unsicherheit schaffen, sondern so ermöglichend wie nur möglich. Wir brauchen Cloud-Lösungen, die wir von jedem Endgerät aus und von jeder Person benutzen dürfen und die auch benutzbar sind. Geschützte Lernplattformen wie das bayerische mebis1 sind ein erster Schritt, vorausgesetzt LehrerInnen und SchülerInnen nehmen das Angebot an. Wir sollten auch politisch aufhören, immer nur den deutschen, den bayerischen, den Münchner Weg gehen zu wollen. Ich würde mir wünschen, dass man sich von den Nachbarländern abschaut, wie dort das Thema geregelt ist. Dazu muss man nur zum Beispiel in die Schweiz oder nach Schweden sehen.
1Anmerkung: mebis fördert den Einsatz von Digitalem im Unterricht und ist ein Projekt des Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst.
Ähnlicher Beitrag: Blick ins digitale Klassenzimmer (1): Interview mit Sonja Hennig
Hier geht es zur Newsletter-Anmeldung!
Ein Kommentar