Wir ziehen uns nackt aus!

Privatsphäre ©napri / photocase.de

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie besuchen ein Seminar und der Seminarleiter bittet Sie, ein paar Worte über Ihre Person zu sagen. Die Gruppe wüsste dann, mit wem sie es die nächsten Stunden zu tun habe, so der Leiter. Sie werden daraufhin versuchen, sich knapp und seriös in der Runde zu präsentieren.

Was andere über Ihre Person erfahren werden, das bestimmen im analogen Leben Sie. Und all das, was Sie nicht sagen und zeigen möchten, fällt unter Ihre Privatsphäre. Und die Bewahrung dieser gehört zu unseren Grundrechten. Klar gibt es sie, die Extroverti-Ultras, die Ich-gehöre-Euch-allen-Rampensäue, die Peinlich-gibts-nicht-Dschungelcamper. Aber für die meisten von uns gilt: Wir erzählen zumeist nicht, dass wir zwei Ehrenrunden im Gymnasium wegen Mathematik drehen mussten, verheiratet sind, aber nicht immer treu waren und der Sprössling in der Schule verhaltensauffällig ist.

Ich habe durchaus etwas zu verbergen

Wenn wir einen Erziehungsratgeber bestellen, Krankheiten googeln, mit Freunden chatten, auf Instagram Fotos hochladen, bei Google-Maps unseren Standort eingeben, unseren Kalender in der Cloud verwalten oder E-Mails schreiben, dann wissen wir nicht, ob irgendjemand mitliest, wohin diese Daten wandern und was damit geschieht. Oder schlimmer: Wir wissen es, weil Datenkraken mitunter ganz offen zugeben, dass sie alles verwursten, was auf ihren Servern landet und nutzen die Angebote trotzdem.

Natürlich nutzen wir gerne die Vorteile des Internets, wir können aber in zunehmendem Maße nicht mehr entscheiden, was wir von uns preisgeben möchten. Wir können nicht bestimmen, wofür unsere Daten verwendet werden. Wir können nicht verlangen, dass diese wieder gelöscht werden. Wir können nicht verhindern, dass diese Daten modifiziert werden! Die Konsequenz: Wir geben unsere digitale Privatsphäre auf und ziehen uns gegenüber digitalen Dienstleistern mehr oder weniger nackt aus.

Wir exponieren uns freiwillig … oder? Wirklich freiwillig? Nein, wir haben keine andere Wahl als für zumeist kostenlose Online-Dienstleistungen den seitenlangen AGB zuzustimmen und damit den Zugriff auf unsere ganz persönlichen, sensiblen Daten zu gewähren. Aktiv herausgeben würden wir diese bei Nachfrage auf der Straße sicher nicht.

Verletzung der digitalen Privatsphäre ist nicht spürbar

Man spürt diese Verletzungen der Privatsphäre nicht unmittelbar. Wenn Facebook unsere Profile verkauft, fragen das Social-Network und Konsorten nicht, was wir als Gegenleistung dafür haben möchten. Wenn wir Pokémon Go spielen, dann denken wir nicht an die bösen Datenkraken. Wenn ein Geheimdienst unsere E-Mails mitliest, blinkt bei uns kein Warnschild auf.

Google Home ©google
Google Home ©google

Mit vernetzten Geräten wie Google Home, Amazon Echo oder digitalen Babysittern gehen wir sogar noch einen großen Schritt weiter und überqueren ohne Bedenken eine dicke rote Linie: Da wir diese, mit Kameras und Mikrophonen bestückten, Geräte in unseren Wohnungen platzieren, holen wir uns vollkommen fremde Firmen und Organisationen direkt in unseren Privatbereich. Alle diese Helferlein senden Audio- oder Video-Aufnahmen per Internet an ihre Hersteller, um dort umfangreiche Auswertungen zu ermöglichen. Die kleinen Komfort-Gegenleistungen, die wir hierfür erhalten, sind lächerlich im Vergleich zu dem was wir preisgeben.

Unser Profil ist ein begehrtes Produkt

Das Online-Verhalten ist keine private Angelegenheit. Jede digitale Spur wird zu unserem Profil hinzugefügt, je mehr, desto besser. Ob richtig oder falsch? Wir wissen es nicht. Und unsere Profile sind begehrte Produkte – und kostenlos dazu. Die Wirtschaft will unsere Daten, um uns etwas zu verkaufen. Die Versicherungen, Banken und Arbeitgeber sind scharf darauf, um uns zu selektieren und der Staat möchte uns (vor uns selbst) beschützen oder schlicht kontrollieren.

Schluss damit: Wir sollten nicht länger zuschauen, wie uns ein paar wenige amerikanische Mega Corps komplett ausziehen und unsere „Persönlichkeiten“ verschachern. Es sind jetzt dringend Technologien gefragt, die unsere Privatsphäre im Netz sicherstellen. Gegen einen fairen Preis, ohne Hintertüren und Fallstricke. Vertraulichkeit ist unser Grundrecht! Es ist unsere Verantwortung, diese zu schützen!

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5 Kommentare

    1. Ich verstehe die Denke sehr gut, das ist ja auch ein Teil des Problems. Mir kommt da das Bild des Rauchers:
      Der kurzfristige „Nutzen“ wiegt schwerer als die
      entfernte Gefahr, zumal nicht sicher ist, dass der Schadensfall jemals eintritt.

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