Blick ins (digitale) Klassenzimmer

Interview mit Sonja Hennig. Sie unterrichtet Deutsch-, Geschichts- und Methodenunterricht im Sauerland

Die Digitalisierung hält nicht vor dem Schultor an. Fast jedes Kind hat heutzutage ein Smartphone, es gibt Youtube-Tutorials und WhatsApp-Gruppen, die sie bei den Hausaufgaben unterstützen.

Für Schüler alles kein Problem, aber Schulen und Lehrer stehen vor Herausforderungen. Die gute alte Ranzenpost stirbt langsam aus, Overheadprojektoren verstauben in Gerätekammern und Smartphones eignen sich hervorragend als Spickzettel.

In vielen Schulen gibt es keine klaren Richtlinien, wie im digitalen Zeitalter im Klassenzimmer kommuniziert, dokumentiert und archiviert werden soll.

Sonja Hennig ©privat
Sonja Hennig ©privat

Wir haben Sonja Hennig gefragt. Sie unterrichtet Deutsch-, Geschichts- und Methodenunterricht im Sauerland und begrüßt die Digitalisierung in der Schule. Die Mutter von drei Kindern arbeitet am städtischen Gymnasium Olpe in allen Jahrgangsstufen.

Wie gehen Sie damit um, dass Grundschüler sehr vertraut mit der digitalen Welt sind, aber der Unterricht noch mit Overheadprojektoren und rissigen Landkarten gestaltet werden muss? Oder sind Sie an Ihrer Schule mit digitalen Geräten gut ausgestattet?

SchülerInnen erwarten eigentlich Unterricht, der ohne digitale Geräte auskommt. In den Grundschulen haben sie zumeist nichts anderes kennengelernt. Daher wird Einsatz von Overhead-Projektoren, Videogeräten und CD-Playern nicht als ungewöhnlich empfunden. Das ist für SchülerInnen wie LehrerInnen vertraute Technik, die läuft.

Wir setzen an unserer Schule inzwischen statt auf interaktive Whiteboards auf Monitore, auf die Bildschirminhalte von Tablets oder Laptops projiziert werden. Dadurch gewinnt man als LehrerIn Sicherheit. Man probiert zu Hause in Ruhe aus, was im Unterricht passieren soll.

Ein erster Schritt ist dann die Tafel durch diese digitale Projektionsfläche zu ersetzen. Tafelbilder werden bunter und anschaulicher, können gespeichert, wieder aufgerufen und erweitert werden. Eine Verbesserung, die die SchülerInnen schätzen, obwohl sich die Art des Unterrichts dadurch natürlich nicht ändert

Dürfen Schüler ihre elektronischen Geräte im Unterricht bei sich behalten oder gar nutzen?

Gemeinsam mit der Schülervertretung haben wir eine Nutzungsordnung für digitale Geräte erarbeitet, die sich aktuell in der Erprobungsphase befindet. Digitale Geräte dürfen im Unterricht genutzt werden, wenn dies zur Gestaltung des Unterrichts sinnvoll ist. In den Pausen können SchülerInnen in einem festgelegten Gebäudeteil Handys oder Tablets nutzen, dürfen allerdings weder Foto- noch Film- noch Audioaufnahmen machen. Um andere nicht zu stören, müssen Kopfhörer getragen werden.
Unsere Medienscouts stehen ihren MitschülerInnen vor Ort mit Rat und Tat als Ansprechpartner zur Seite, eine erwachsene Aufsicht sorgt für die Einhaltung der Regeln.

Häusliche Internet-Recherche oder Powerpoint-gestützte Referate sind schon lange „normale“ Aufgaben. In letzter Zeit kommen aber neue Formate hinzu. Als Teil des Flipped Classrooms ist etwa das Erarbeiten von Erklärvideos Hausaufgabe. Die so vorbereiteten neuen Lerninhalte werden dann gemeinsam im Unterricht angewendet und eingeübt. Um Wissen einzuüben können interaktive Aufgaben zum Beispiel durch Learning-Apps als Übung zu Hause aufgegeben werden. Der Vorteil ist, dass Schülerinnen sofort eine Rückmeldung erhalten.

Bei Fragen oder Schwierigkeiten hilft natürlich immer die Lehrkraft im Unterricht. Die Auslagerung der Erklärphase aus dem Unterricht und das direkte Hausaufgaben-Feedback für reine Wissensinhalte bedeuten Zeitgewinn für den Unterricht. So kann man sich im Klassenraum tiefer mit dem Stoff auseinandersetzen oder individueller fördern und fordern. Mit den eigenen Geräten können SchülerInnen aber auch selbst Produkte wie Erklärvideos, Audios oder E-Books herstellen und so kreativ-produktiv arbeiten. Das kann den Unterricht verändern und sogar ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.

Blick ins digitale Klassenzimmer © privat
Blick ins digitale Klassenzimmer © privat

Und wie halten Sie es mit häuslichen Arbeiten wie beispielsweise Hausaufgaben und Referaten?

Technisch ist die Aufgabe zu Hause digital für den Unterricht zu arbeiten selten ein Problem. Allerdings lässt sich aus Elternsicht nicht immer klar trennen: Arbeitet das Kind für die Schule oder ist es zur Unterhaltung im Netz unterwegs? Bewegt es sich überhaupt sicher im Netz?

Die Kinder und Jugendlichen müssen genau wie wir Erwachsenen lernen, trotz der reizvollen Ablenkung durch das Internet, eine Aufgabe konzentriert zu lösen.
Werden digitale Medien aktiv in die Unterrichtsgestaltung einbezogen und spielen auch in der häuslichen Vor- und Nachbereitung eine Rolle, ist es deshalb wichtig die Eltern einzubeziehen. Ein verantwortungsvoller und selbstbestimmter Umgang mit Medien kann Kindern und Jugendlichen nur vermittelt werden, wenn Schule und Elternhaus Hand in Hand arbeiten.

Wie kommunizieren Sie außerhalb des Unterrichts mit Schülern und Eltern? Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich mit den Eltern?

Über schulische Neuigkeiten können Eltern und SchülerInnen sich durch die Homepage oder unseren Newsletter informieren. Auf der Homepage findet man auf die Mailadressen der KollegInnen.

Da ich den unkomplizierten und direkten Kontakt mit Eltern und SchülerInnen sehr schätze, teste ich in einigen Klassen gerade die App Schultermine.de. Die Kommunikation funktioniert ähnlich wie bei Whatsapp. Allerdings werden keine persönlichen Daten wie Telefonnummer oder Mailadresse benötigt. Auch auf die Angabe eines Klarnamens kann man verzichten und wichtig für mich als Lehrerin: Ich kann Zeiten einstellen, zu denen ich erreichbar sein möchte oder eben nicht. Außerdem gibt es einen Terminplan. Dort können Klassenarbeitstermine, Hausaufgaben und sonstige schulische Termine eingetragen oder Umfragen erstellt werden.

In den Klassen, die die App testen, haben wir festgelegt, dass nur relevante Informationen ausgetauscht werden und dieser Kommunikationskanal für persönliche Inhalte, wie Krankmeldungen, Fehlverhalten oder Leistungsinformationen nicht geeignet ist. Für derartige Informationen muss eine Nachricht geschickt werden, um einen persönlichen Gesprächstermin zu vereinbaren.

KollegInnen, Eltern und SchülerInnen nehmen dieses freiwillige Angebot zumeist gerne an. Bisher habe ich noch keine missbräuchliche Nutzung erlebt

Welches Bewusstsein haben die Schüler für die Gefahren im Netz?

Dass das Internet irgendwie gefährlich ist, wird Kindern schon früh vermittelt. Die Gefahren bleiben aber oft nebulös. Sobald etwas nicht so funktioniert, wie es soll, ist es für die Kinder „gehackt“. Thematisiert man diese Gefahren, sind gerade jüngere Kinder aufmerksam und sehr am Austausch interessiert. Das Thema ist spannend, wird aber erst durch Beispiele konkret und persönlich.

Wichtig ist die präventive Arbeit. Haben die Kinder bereits Kettenbriefe kennen gelernt, bevor sie einen per Whatsapp erhalten, versetzt dieser sie nicht mehr so sehr in Angst und Schrecken und sie wissen, wie sie reagieren können. Gleiches gilt natürlich auch fürs Cybermobbing.

Datensparsamkeit und ein gesundes Misstrauen gegenüber Fremden müssen ebenso thematisiert werden. Werden digitale Medien im Unterricht genutzt, sind SchülerInnen immer wieder gefordert, dieses Wissen anzuwenden, sprich sorgsam mit ihren Daten umzugehen. Das ist nachhaltiger als das Thema in einer Methodenstunde anzusprechen und abzuhaken.

Das Bewusstsein für Gefahren ändert sich mit zunehmendem Alter. SchülerInnen der Mittel- und Oberstufe fühlen sich teilweise unsicherer im Netz als UnterstufenschülerInnen.

Was wird von der Schule in Sachen Medienkompetenz vermittelt?

Wir steigen in der Jahrgangsstufe 5 mit dem Internet-abc Surfschein ein. In vier Lernmodulen – Surfen und Internet, Mitreden und Mitmachen,  Achtung, die Gefahren,  Lesen, Hören, Sehen – lernen Kinder mit digitalen Geräten und Internet verantwortungsvoll und sicher umzugehen. Unsere Medienscouts unterstützen die MitschülerInnen, Schulsozialarbeiter und KollegInnen bei der Präventionsarbeit.

Außerdem bildet natürlich der Medienpass NRW eine Grundlage unseres Medienkonzepts. Alle Fächer leisten künftig einen Beitrag zur Vermittlung der sechs Kompetenzbereiche.
Aktuell sind wir auch hier noch in der Entwicklung und Erprobung, da nicht nur die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, sondern auch wir LehrerInnen uns weiterbilden müssen, um SchülerInnen diese Medienkompetenzen zu vermitteln.

Welche Methoden und Richtlinien werden Ihnen als Pädagoge vorgegeben, um Datenschutz zu gewährleisten?

Mit Logineo NRW erhalten wir hoffentlich bald eine Infrastruktur mit eigener Cloud-Anbindung, die es uns ermöglicht, personenbezogene Daten rechtssicher auszutauschen. Sind zur Nutzung einer Online-Plattform oder eines Angebots Nutzerdaten notwendig, müssen diese so gestaltet werden, dass SchülerInnen nicht identifizierbar sind.

Im Kreis Olpe steht uns mit dem Datenschutzbeauftragte Dirk Thiede ein Ansprechpartner zur Verfügung, mit dem wir einen regelmäßigen Austausch pflegen.

Was würden Sie sich für den gesunden Umgang mit elektronischen Geräten an Ihrer Schule wünschen?

Dass jeder verantwortungsvoll entscheiden kann, welches Medium er wann und wie am sinnvollsten zur Gestaltung seines eigenen Lernweges nutzt.
Wichtig dabei ist, digitale Medien nicht nur zu konsumieren, sondern auch zu reflektieren, analysieren und produzieren, um selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Das Interview führte Andrea Rickert.

Blick ins digitale Klassenzimmer (2): Interview mit Christine Debold 

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