Smart Citys: Ist das die städtische Welt von morgen?

Es gibt auf den Straßen vielleicht bald keine Staus mehr und es riecht auch nicht mehr nach Abgasen, da Stadtbewohner via App den schnellsten und damit CO2-ärmsten Weg zu ihrem Ziel abrufen können. Der Müll wird in den Haushalten mit einem Rohrsystem nach unten transportiert, unterirdisch verarbeitet und entsorgt. Wartezeiten in Behörden gehören der Vergangenheit an, weil kommunale Belange der Bürger mit Hilfe eines Sprachcomputers ausgeführt werden können.

Überall auf der Welt wird nach intelligenten Lösungen für intelligente Städte gesucht. So auch in Deutschland. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) definiert Smart Citys als „CO2-neutrale, energie- und ressourceneffiziente und klimaangepasste Städte von morgen“.

Diese sogenannten Smart Citys halten derzeit alle Fakultäten auf Trab: Stadtplaner, Umwelttechniker, Informatiker, Prozesstechniker, Ingenieure, Psychologen und Soziologen arbeiten an der Umsetzung digitaler Strategien. Technikunternehmen investieren Millionen von Forschungsgeldern in Visionen von Smart Citys. Die neuen Techniklösungen werden auf alle Lebensbereiche des Menschen Einfluss nehmen.

Smart Citys, die auf dem Reißbrett entwickelt wurden: Songdo und Masdar

In Songdo (Südkorea), 65 Kilometer von Seoul entfernt, wird das Modell Smart City heute schon sehr konsequent umgesetzt. Diese Retortenstadt, deren Grundstein bereits 2003 gelegt wurde, steht auf einer 800 Hektar großen, künstlich aufgeschütteten Fläche im Meer. Auf ihrer Website werben die Betreiber damit, dass Haus, Schule und Freizeit grundsätzlich nur 15 Gehminuten auseinanderliegen. Die digitale Kommunikation in allen Wohnungen und Gebäuden wurde von namhaften Unternehmen – allen voran Cisco, Arup und United Technologies – aufgebaut. Alle Stadtbewohner kommunizieren über „Telepresence“, ein hochwertiges Videokommunikationssystem. Die Müllentsorgung funktioniert unterirdisch und vollautomatisch über ein pneumatisches Unterdruckverfahren. Derzeit leben etwa 20.000 Menschen in Songdo. Für 70.000 Einwohner wurde die Stadt geplant.

Wer Songdo in Sachen „smart“ noch überbieten möchte, ist das Emirat Abu Dhabi mit Masdar. 2009 startete das Bauprojekt nach den Plänen des Star-Architekten Sir Norman Foster. Die zukünftige CO2-neutrale Wissenschaftsstadt, die in der Wüste entsteht, hat sich zum Ziel gesetzt, die CO2- und Müllbilanz auf Null zu setzen. Foster und sein Team planten beispielsweise die Häuser so, dass sie sich gegenseitig Schatten spenden. Die Temperatur der Stadt soll dadurch um 20 Grad Celsius niedriger liegen als im Rest des Landes. Nach mehrmaligem Bauverzug wird Masdar voraussichtlich 2025 fertig sein. Auch hier gibt es noch viel freien Wohnraum.

Erste Anläufe in Deutschland

In Deutschland haben Hamburg mit dem Smart-Port-Projekt und Köln durch eine bürgerfreundliche digitale Verwaltung von sich Reden gemacht. Viele Kommunen wollen jetzt dabei sein. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat eine „Smart City Charta für Deutschland“ herausgegeben.

Auf Basis von wissenschaftlichen Expertisen und unter Einbindung eines interdisziplinären Arbeitskreises werden Leitlinien für die künftige Gestaltung von Smart Citys entwickelt. Die Ergebnisse werden dann in die Charta überführt, schreibt das BBSR auf seiner Website.

Die meisten Smart-City-Projekte werden im Rahmen von Public-Private-Partnerships (PPP) mit den genannten Unternehmen umgesetzt. Ein großer Kritiker dieser Kooperationen ist Evgeny Morozov. Der Netzaktivist beschäftigt sich mit politischen und sozialen Auswirkungen von Technik und ist der festen Überzeugung, dass es bei Smart-City-Konzepten nicht nur um verbesserten Nahverkehr oder nachhaltigeres Wohnen geht, sondern in erster Linie um das Sammeln riesiger Datenmengen. Die Konzerne suggerieren außerdem, dass es für jedes städtische Problem eine teure technische Lösung gebe, so Morozov.

Gesammelte Daten schadeten Obdachlosen

Auf der re:publica 18 referierte Leon Kaiser von netzpolitik.org über die Probleme von Smart Citys im Allgemeinen und Datenmissbrauch im Besonderen und benannte einen Missbrauchsfall aus London aus dem Jahr 2016. Dort hatte eine Hilfsorganisation Daten von Obdachlosen über deren Nationalität und Aufenthaltsort in einer Datenbank namens Chain gesammelt, um besser auf die Bedürfnisse der schwächsten Stadtbewohner eingehen zu können. Diese Daten wurden an die Polizei weitergegeben, und kurze Zeit später nahm die Festnahmerate ausländischer Obdachloser um 40 Prozent zu. Das war natürlich nicht das Ziel der Hilfsorganisation, sondern eine Folge von verantwortungslosem Handeln mit personenbezogenen Daten.

Kommt mit Smart Citys die totale Überwachung?

In Bezug auf die gesammelten und personenbezogenen Daten stellt sich bei Public-Private-Partnerships auch die Frage, was denn passiert, wenn sich beteiligte Konzerne aus dem Projekt zurückziehen, Pleite gehen oder die gesamte Technologie von nur einem einzigen Konzern stammt. Die Bündelung und Auswertung der riesigen Datenmengen und die Vernetzung aller Bereiche, wie Stromerzeugung, Müllbeseitigung, Wasser- und Abwassermanagement und/sowie der Verkehrssteuerung stellt die totale Überwachung dar. So wie Smart Citys heute konzipiert werden, sind Datenschutz und -sicherheit nicht gewährleistet – nicht nach dem heutigen Stand.

Wir müssen neue kommunale Modelle erarbeiten

In Smart Citys steckt viel Potential für unsere Zukunft. Aber „smart“ wird eine Stadt erst dann, wenn die Daten sicher und vertrauenswürdig vernetzt sind. Das sieht auch die Digitalstrategin der Stadt Barcelona Francesca Bria: „Bisher war Barcelona sehr stark in den Händen von Tech-Konzernen, die unsere Infrastruktur kontrollieren wollten. Die Daten würden dann ausschließlich bei den Tech-Firmen liegen. Wir wollen aber, dass sie den Bürgern gehören und zum öffentlichen Gut werden“, so Bria in einem Interview in futurezone.de. Ansonsten gehe es in einen „Überwachungskapitalismus“ über.

Wir müssen Modelle entwickeln, die uns nicht weiter von digitalen Giganten abhängig machen. Netzpolitik.org hat sechs Anforderungen für Smart Citys entwickelt, die sie zur Diskussion stellen. Daraus lese ich vor allem die Befürchtung, dass Smart Citys anderen Zielen folgen könnten, als dem Wunsch unser aller Leben zu verbessern: Werden sie ausschließlich Top-Down konzipiert und den Interessen der großen Konzerne unterstellt, droht Ungemach weit jenseits der impliziten Gentrifizierungsproblematik. Doch bewerten Sie selbst. Ich freue mich auf Ihre Kommentare:

  1. Analoge Alternativen: Essenzielle Dienste und die Grundversorgung dürfen nicht ersatzlos digitalisiert werden, da sonst die gesellschaftliche Teilhabe von verschiedenen Gruppen von Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohnern nicht garantiert werden kann.
  2. Inklusive Entwicklung: In die Infrastruktur- und Produktentwicklung muss eine vielfältige Gruppe von Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohnern aktiv einbezogen werden.
  3. Digitale Souveränität: Digitale Infrastrukturen, Plattformen und grundlegende Dienste müssen auf der Grundlage von Prinzipien freier Soft- und Hardware von Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohnern oder öffentlicher Hand entwickelt, genutzt und betreut werden.
  4. Daten und Verantwortung: Personenbezogene Daten dürfen so wenig wie möglich anfallen und nicht weitergegeben oder verkauft werden (Privacy by Design, DSGVO). Nicht-personenbezogene Daten müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (Open Data).
  5. Alternative Geschäftsmodelle: Neben Start-Ups müssen auch traditionelle und plattformbasierte Genossenschaften sowie offene Geschäftsmodelle gefördert und in Planungen einbezogen werden.
  6. Demokratische Prozesse: Bildungsinitiativen und zivilgesellschaftliche Akteure müssen bei demokratischen und digitalen Bildungs- sowie Partizipationswegen für alle Stadtbewohner unterstützt werden.

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