AGB sind die neue Verfassung

– oder: Muss sich Facebook an Gesetze halten?

Eine gute Weile bevor sich das Internet für den individuellen User öffnete und damit in unser aller Bewusstsein kam, entwickelte ich Ende der 1980er Jahre ein multiuser-fähiges Online-System mit Mail, Chat, Spielen und mehr. Solche Dienste, in die sich Interessierte per Telefonleitung mit ihren Modems einwählen und untereinander kommunizieren konnten, wurden damals schlicht „Mailbox“ genannt. Meine trug den Namen „Cube-Mailbox“ und begründete seinerzeit eine der größten Digital-Communities im Münchner Raum.

Als Sysop (=Betreiber) dieser Mailbox trug ich die Verantwortung für das System und gab auch die Regeln vor, an die sich alle Benutzer zu halten hatten. Und verhielt sich einer partout nicht Community-konform, so flog er schon mal raus – ganz ohne Gerichtsbeschluss. Offizielle AGB gab es höchstens rudimentär, thematische Schwerpunkte und der „Charakter“ des Betreibers gaben den Kurs einer Mailbox vor. Ethische Grundsätze für die Nutzung der Dienste orientierten sich an einer Art Sportlerehre – und der sogenannten Netiquette, einem mehr oder weniger ungeschriebenen Gesetz für den Online-Umgang miteinander.
Betreiber von Online-Diensten einte stets der Wille, für ihre Nutzer das perfekte System zu schaffen und eine ideale Kommunikationsplattform zu bieten. Das trieb uns an und war unser höchstes Ziel.

Das geschlossene Kommunikationssystem von Mark Zuckerberg

Anders praktizieren das seit einigen Jahren Mark Zuckerberg und seine Mannschaft, die mit Facebook ebenso ein geschlossenes Kommunikationssystem entwickelt haben. Bei ihnen ist der Dienst jedoch nur Mittel zum Zweck – die eigentliche Ware ist der Anwender mit seinen Bedürfnissen nach Kontakten und Anerkennung, mit seinen Verhaltensmustern und Lebensgewohnheiten. Das Datenvieh. Der Goldesel. Der Lemming, der sich auf alles stürzt, was er vermeintlich kostenlos erhalten kann.

Der Vollständigkeit halber: Diese Einstellung gegenüber uns Anwendern trifft selbstverständlich auch auf Google, Twitter und – seit Windows 8 mit enorm steigender Intensität – auch auf Microsoft zu.

Move fast, break rules!

Sich dessen bewusst, dass sie mit dem Internet eine globale Infrastruktur nutzen konnten, die fast jede Ländergrenze unbehelligt überquert, breiteten sich die Großen des Datenbusiness rücksichtslos und rasant über den ganzen Globus aus. Dabei nutzten und nutzen sie geschickt die Tatsache, dass sich Rechtsprechungen in den Ländern unterschiedlich schnell entwickeln und teilweise widersprechen. Viele Regierungen und Behörden wurden somit übertölpelt, und während beispielsweise die EU mit der DSGVO nach einigen Jahren immerhin begonnen hat, gegenzusteuern, waren von den Unternehmen bereits Fakten geschaffen: Jedes Quartal sind weltweit die Nutzerzahlen gestiegen und Staaten und Kartellbehörden hatten dem mit ihrer Prä-Internet-Rechtsprechung nichts entgegenzusetzen. Mehr noch: Auch politische Institutionen erlagen der Faszination der schönen neuen Welt und versuchten selbst Aufmerksamkeit über Facebook & Co. zu bekommen und deren Datenschätze für sich zu nutzen.

Mittlerweile ist Facebook bevölkerungsreicher als alle Länder der Welt. 2,27 Milliarden aktive Nutzer hatte der Dienst im dritten Quartal 2018. (zum Vergleich: Im riesigen China leben derzeit geschätzt rund 1,4 Milliarden Menschen). Der Börsenwert von Facebook liegt bei rund 500 Milliarden Dollar und die Firma gehört damit zu den wertvollsten Unternehmen aller Zeiten.

Das innere Geschäft – Überwachung

Um die Geldmaschine anzukurbeln, sammeln und analysieren Facebook & Co. Profil- und Nutzungsdaten von möglichst allen Internet-Anwendern weltweit, egal ob es sich dabei um Kunden ihrer Angebote handelt oder nicht. Das Business geht mittlerweile so weit, dass Werbetreibende eigene Kundendaten an Facebook weiterleiten und diese mit Facebook-Daten verknüpfen lassen. Das hat zur Folge, dass der Nutzer immer mehr überwacht wird. Die emeritierte Professorin der Harvard Business School, Shoshana Zuboff, spricht vom „Überwachungskapitalimus“. Sie begründet den Begriff damit, dass Unternehmen aus allen Bereichen mit heimlicher Überwachung um unsere Verhaltensdaten konkurrieren, damit sie unser Kaufverhalten vorhersagen können. Menschen seien nur noch die Quelle des kostenlosen Rohstoffes – Daten.

Facebook, Google, Twitter und Microsoft (und auch alle ihre Unternehmenstöchter, wie zum Beispiel WhatsApp, Instagram, YouTube, LinkedIn etc.), haben Nutzungsbedingungen (AGB) geschaffen, die uns die Kontrolle über unsere Daten praktisch verbieten. Das ist der Preis für den Zugang zu ihren Produkten – oder auch nur den Besuch von Webseiten im Internet. Wir haben nie wirklich zugestimmt, dass wir die Daten überlassen wollen, sondern wurden damit überrumpelt. Dass diese AGB teilweise sogar geltendem Grundrecht in vielen Ländern (unter anderem auch in Deutschland) widersprechen, wird von der Öffentlichkeit – und auch vielen Politikern – irgendwie zähneknirschend akzeptiert. Man möchte es sich mit den großen Konzernen möglichst nicht verscherzen und natürlich weiter die tollen Angebote nutzen. Ersetzen die AGB also mittlerweile unsere Gesetze, die dem Schutz der Bürger dienen? Werden Nutzungsbedingungen zum neuen Grundgesetz, nur weil die Datenkonzerne mittlerweile eine Machtposition innehaben, die ihnen keine Regierung mehr nehmen kann – oder möchte?

Das äußere Geschäft – Aufmerksamkeit

Denn: Eine Plattform wie Facebook kann die vielen Menschen, die sie nutzen, beeinflussen und lenken. Sie entscheidet, was wer wann auf seinem Bildschirm angezeigt bekommt. Dabei ist sie keine Demokratie. Sie wird von Managern „regiert“, die nur ein Ziel kennen: Maximierung des eigenen Profits. Das ist problematisch, denn in den sozialen Netzwerken geht es immer um Aufmerksamkeit. Das ist die Währung. Facebook – eigentlich ein Technologieunternehmen – ist mittlerweile das größte Medienhaus der Welt. Extreme Aussagen im Newsfeed sind erfolgreicher, bringen mehr Klicks und damit mehr Werbeeinnahmen, werden mehr belohnt. Hassreden, bezahlte Trolle und strafrechtlich relevante Nachrichten lässt Facebook gewähren – bringt mehr Geld. Alles geschieht unter dem Deckmäntelchen der sogenannten Meinungsfreiheit, die gerade in den Vereinigten Staaten oft für zweifelhafte Zwecke missbraucht wird.

Die Folgen für unsere Gesellschaft

Revolutionäre haben Facebook genutzt, um Systeme zu stürzen. Die Ägyptische Revolution hätte ohne Facebook so nie stattgefunden. Autokratische Regime nutzen das Medium aber auch gerne, um politische Gegner herauszufiltern, um sie in der Konsequenz zu foltern und zu töten. Mittlerweile ist auch klar, dass mit Facebook Wahlen rund um den Erdball manipuliert werden. Wir wissen nicht, wer heute Amerika regieren würde, hätte es den Dienst in der Größe nicht gegeben. Wie stark beispielsweise die AfD ohne Facebook in Deutschland wäre, wissen wir auch nicht. Die Partei hat sehr gezielt auf die sozialen Netzwerke während ihres Wahlkampfes gesetzt.

Genau genommen ist Facebook, so wie damals alle Mailboxen, ein geschlossenes System diverser Nutzer(gruppen). Insofern hätten weder Regierungen noch die Öffentlichkeit ein Mitspracherecht, was darin geschieht, so lange es nicht offensichtlich gesetzwidrig ist. Das Problem ist jedoch einerseits die schiere Größe, auf die die Plattformen angewachsen sind und andererseits die fehlende Moral ihrer Betreiber, die ihre Dienste lediglich als Leimruten für das Einfangen von Nutzerprofilen missbrauchen. In Summe sprengt das jeden bislang vorhandenen Rahmen – über alle Ländergrenzen und politischen Systeme hinweg. Facebook & Co. übernehmen keine Verantwortung für ihre Macht – sie kennen keine „Sysop-Ethik“ und auch keine Netiquette. Auch unser Rechtstaat ist seiner Rolle als Beschützer von Bürgerrechten nicht nachgekommen. Im Gegenteil: Er lässt sich von den Internet-Giganten vor- und verführen und arbeitet – mit der Begründung vermeintlich notwendiger Terrorabwehr – an (Polizei-) Gesetzen, die nicht in unserem Interesse sein können, sondern die Macht von Datensammlern noch steigern.

Eine sehr gefährliche Situation.

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