Ein getrennt lebendes Elternpaar muss zukünftig in einer WhatsApp-Gruppe über Wohl und Wehe seiner beiden Kinder entscheiden. So lautet jedenfalls der richterliche Beschluss eines bayerischen Familiengerichts im Juni 2016 (siehe Foto links und unten). In der angeordneten WhatsApp-Gruppe ist außerdem ein Gutachter des Amtsgerichts involviert, der über eine konstruktive Konfliktlösung der beiden Parteien zugunsten der Kinder wachen soll.
Der Beschluss lässt keinen Zweifel daran, dass die Richterin mit den modernen Kommunikationskanälen des Jahres 2016 vertraut ist. Was sie offensichtlich nicht weiß, ist, welches problematische Medium sie den Parteien aufzwingt. Oder anders ausgedrückt: Geht’s noch?
Was wissen deutsche Behörden über Datenschutz?
Zweifelsohne ist es für Kinder eine katastrophale Situation, wenn Eltern nicht mehr miteinander reden können, Terminabsprachen nicht eingehalten werden und der Nachwuchs zum Spielball elterlicher Machtansprüche wird. Eine geregelte Gesprächsplattform, die keine persönliche Anwesenheit der Beteiligten voraussetzt, kann in einem Rosenkrieg helfen, Konflikte zu lösen. Mir geht es daher nicht um das Medium „Messenger“ als solches, das die Richterin vorgeschrieben hat, sondern um das kommerzielle Produkt eines amerikanischen Datenparasiten. Das Produkt eines Unternehmens, dessen einziger Geschäftszweck es ist, seine Kunden zu belauschen, auf Schritt und Tritt zu überwachen und mit den daraus gewonnenen Daten Handel zu treiben.
WhatsApp-Zwang: Trotz Verschlüsselung können Daten abgegriffen werden
Ja, der Kommunikationsdienst WhatsApp hat seit einigen Wochen eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingeführt. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung heißt, dass die Nachricht auf dem Sendegerät verschlüsselt, dann versandt und erst auf dem Empfängergerät entschlüsselt wird. Dies funktioniert allerdings nur, wenn alle Nutzer die neueste Version verwenden. Für den Gruppen-Chat heißt das konkret: Wenn auch nur ein Teilnehmer eine ältere Version nutzt, dann ist die gesamte Kommunikation der Gruppe unverschlüsselt.
Außerdem: Es ist nicht bekannt, was WhatsApp mit den empfangenen Daten vor deren Verschlüsselung macht. Die angewandte Kryptographie nützt hier auf perfide Weise auch dem Dienst selbst, da nicht mehr nachvollziehbar ist, was direkt an den Mutterkonzern Facebook übertragen wird. Die Metadaten (Wer, wann, mit wem, …) liegen dort auf jeden Fall vor und möglicherweise noch sehr viel mehr … Die digitalen Kraken aus den USA sind bekanntermaßen nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel und Datenschutz, wie wir ihn hierzulande verstehen, ist jenseits des Atlantiks ein Fremdwort.
Datenfluss aus der EU in die USA neu geregelt
Wenn auch nicht das Wissen um alle technischen Details moderner Kommunikationsdienste, so sollten die deutschen Behörden doch zumindest die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Datenschutz bei deutschen Gerichten kennen. Spätestens seit der Affäre um „Safe Harbour“ ist bekannt, dass persönliche Daten von Bundesbürgern außerhalb der EU – eigentlich außerhalb Deutschlands – nichts zu suchen haben (dürfen). Und auch die soeben verabschiedete Nachfolgeregelung „Privacy Shield“, von Kennern der Materie gerne als „Privacy Sieve“ verspottet, entspricht nicht den Vorgaben des EuGH. Es werden weitere gerichtliche Schritte von Gegnern des Vertrages erwartet.
Warum wird ein US-amerikanischer Dienst vorgeschrieben?
Und selbst wenn ein Richter auch das nicht weiß, obwohl es durch alle Medien ging: Warum in aller Welt wird ein US-amerikanischer Dienst als Plattform vorgeschrieben? Was hat der Name eines kommerziellen Produkts in dem Beschluss eines deutschen Gerichts zu suchen? Warum werden hier nicht zumindest bekannte europäische Alternativen zur Wahl gestellt, die spätestens seit Edward Snowden durchaus einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzen?
Eigentlich wäre in vorliegendem Fall die richtige Antwort der Eltern gemeinsamer bürgerlicher Ungehorsam und die Einigung auf Verwendung einer anderen, sicheren Kommunikationsplattform (und wenn es nur PGP-verschlüsselte E-Mails sind). Zum Leidwesen der Kinder gibt es jedoch in diesem Rosenkrieg kein „gemeinsam“ mehr. Sie werden damit leben müssen, dass dieser fatale Lebensabschnitt zum Grundstein ihres digitalen Fingerabdrucks im Internet wird.
BASIC thinking hat sich kritisch mit den WhatsApp-AGBs auseinandergesetzt
Das ist ja zum Haareraufen!
Digitale Privatsphäre von Eltern und Kindern adé, gerichtlich verordnet…
Aber es gibt zum Glück auch noch Gerichte, die die Gefahren dahinter kapieren:
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Gerichtsurteil-Vater-muss-WhatsApp-von-den-Mobilgeraeten-seiner-Kinder-entfernen-3292927.html