Unsere neuen Herrscher!

Wenigstens ein reflexartiges Zurückzucken unserer Politik hätte ich mir gewünscht. Nur ein winziges Zeichen von denen, die uns beschützen sollten. Aber: Fehlanzeige. Wir erleben seit geraumer Zeit, wie sich die „Schrecklichen Fünf“ (Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft) in Deutschland nicht nur jeglicher nationalen Rechtsprechung bestmöglich entziehen, sondern diese – im Gegenteil – massiv in ihrem Sinne beeinflussen und sich nun sogar als Heilsbringer in Sachen Bildung aufführen, als müssten sie uns vor uns selbst retten.

Was vielleicht sogar notwendig wäre, aber leider retten die Konzerne nicht uns, sondern nur ihre eigenen Interessen. Sie verkaufen ihre Gier nach totaler Überwachung als Interesse an unserem Schutz, gaukeln uns vor, die Bewahrung unserer Privatsphäre wäre ihr höchstes Gut und lenken die öffentliche Aufmerksamkeit geschickt vom eigentlichen Thema ab: Unser größtes Zukunftsproblem sind nicht unsere Privatsphäre-Einstellungen und die Verständigungsschwierigkeiten mit neuen digitalen Spielzeugassistenten, sondern eben jene Organisationen, auf deren Servern unser ausspioniertes Privat- und Geschäftsleben darauf wartet, missbraucht zu werden.

Und was machen unsere Regierungen von Bund und Ländern?

Sie heißen die „Aufklärungsarbeit“ und „Bildungsoffensive“ der amerikanischen Multis herzlich willkommen, freuen sich über die großzügigen Gelder, die sie dafür nun nicht selbst ausgeben müssen. Sie überlassen die Hoheit über die Definition, was für uns Menschen in diesem Land gut ist, bereitwillig den neuen Herrschern. Und was lobbygesteuerte Politiker tun, kann ja so falsch nicht sein, also schließen sich Universitäten, Vereine und Firmen nur zu gerne diesem leichten und preiswerten Weg an. So einfach und unblutig waren Eroberungsfeldzüge in der Geschichte der Menschheit selten.

Beispiele gefällig für Datenkapitalisten?

Da ist – zugegebenermaßen schon wieder aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten – Microsoft mit Windows 10. Dieses Betriebssystem und all die netten Office-Gadgets außenherum spähen seine Benutzer nach Strich und Faden aus und melden sämtliche wichtigen Aktivitäten brav an alle möglichen Rechenzentren. Aber anstatt den Hersteller ob seiner Unverschämtheit und gegen jegliche Regeln der Diskretion verstoßenden Machenschaften aus dem Land zu jagen oder wenigstens sein Spionage-Windows zu verbieten, stoppt man beispielsweise in München ein jahrelang vorbereitetes Linux-Projekt mit quelloffener Software in der Verwaltung, damit Microsoft sein deutsches Headquarter guten Gewissens aus dem Umland in die Stadt verlegen kann.

Ein Aufstand von Firmen und Behörden gegen Windows 10? Oder wenigstens ein Aufschrei? Mitnichten. Eine unserer wichtigsten Sicherheitsbehörden, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), gibt lieber Geld dafür aus, dass man – natürlich in Zusammenarbeit mit Microsoft – Wege aus dieser misslichen Lage erforscht, damit das Betriebssystem in Deutschland auch weiterhin möglichst ungehindert monokulturell wirken kann. Bedenken von Fachleuten verhallen ungehört.

Und da das BSI schon dabei ist, sich kräftig zu verbrüdern, lässt sich ihr Präsident auch noch für eine Image-Kampagne von Google vor den Karren spannen (Ich hätte da mal ein paar Fragen). Die Sympathie für Microsoft-Produkte konnte man bislang wenigstens noch damit entschuldigen, dass die Redmonder früher dafür bekannt waren, wirklich nur brave Software und keine Ausspähprogramme zu entwickeln. Das Geschäftsmodell von Google ließ hingegen noch nie einen Zweifel daran, was dieser Konzern im Schilde führt: möglichst jederzeit über jeden Menschen auf diesem Planeten genau Bescheid zu wissen.

Und da wir gerade bei Google sind: Ein Berliner „Büro zur Bildungsoffensive“ haben sie jetzt gegründet. Der erste und größte Datenkapitalist des Planeten möchte uns also näherbringen, wie wir uns in der digitalen Welt sicher bewegen und wie wir unsere Privatsphäre schützen? Ganz im Ernst: Das ist, als würden Autokonzerne Kampagnen starten, die uns zeigen wie wir uns vor Auspuffabgasen in Sicherheit bringen können.

Und dann ist da noch Facebook: Hier freut sich die Technische Universität in München über 7,5 Mio. Dollar Forschungszuschuss. Um was es geht? Unter anderem um Ethik (!) bei der Entwicklung von Algorithmen im Bereich Künstliche Intelligenz. Davon einmal abgesehen, dass es Facebook nicht einmal schafft seine Mitglieder zu schützen, geschweige das überhaupt möchte (siehe den aktuellen Passwortskandal oder das Thema Cambridge Analytica), ist dieser Konzern vor allem eines: eine riesige Daten- und Machtsammelmaschine. Und wie Google verfolgt auch Facebook nur ein Ziel: die Erlangung des absoluten Wissens und die Kontrolle über alle Menschen. Und das ist aufgrund der enormen Leistungsfähigkeit und Speicherkapazitäten moderner Computersysteme in greifbare Nähe gerückt.

Polizei trägt Bodycams, Daten lagern bei Amazon

Jedoch müssen Bürger und Regierungen bei diesen Allmachtsfantasien mitspielen, damit diese zur Realität werden. Dass sie das nur zu gerne tun, beweist einmal mehr eine deutsche Polizeibehörde:

Der Einsatz von Bodycams ist allein für sich schon hochproblematisch. Nicht eben besser wird es, wenn, wie in diesem Fall, die Bundespolizei diese Videodaten auch noch ausgerechnet in der Cloud des amerikanischen Konzerns Amazon speichert. Natürlich sollte ich an dieser Stelle fairerweise darauf hinweisen, dass Amazon mit seinen Servern schon 2016 als erster ausländischer Cloud-Anbieter die wichtige C5-Zertifizierung des BSI erhalten hatte. Es ist aber so, dass amerikanische Konzerne in ihrer Heimat umfassenden Auskunftsverpflichtungen unterliegen. Auch sind sie in Krisenzeiten für die deutsche Obrigkeit möglicherweise nicht greifbar. Das alles sollte solchen Kooperationen eigentlich von vorne herein einen Riegel vorschieben.

Neben den erwähnten vier Milliardenkonzernen mit ihren aggressiven Geschäftsgebaren, wirkt Apple regelrecht friedlich. Der Vorstandsvorsitzende Tim Cook, geriert sich denn derzeit auch als Mahner und Rufer für mehr Datenschutz und möchte in der Öffentlichkeit damit Distanz zu „den anderen“ schaffen. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Apple in den letzten Jahren ein weltweites, aber abgeschottetes Imperium aufgebaut hat, das über die Gewohnheiten und Geheimnisse seiner Kunden fast alles weiß. Dieses Wissen wird vorgeblich streng gehütet. Wenn es dem eigenen Zweck dient, sieht man die Dinge jedoch nicht ganz so eng, wie die enge Zusammenarbeit mit dem totalitären Regime in China beweist.

Kritische Rufer, wie ich einer bin, verstummen zu lassen, ist zwar nicht einfach, aber wir sind leider eine Minderheit. Die Mehrheit der Menschen hat bekanntermaßen nichts zu verbergen, und das freut die Datenkonzerne. Die treffen jetzt Vorsorge, damit die kommenden Generationen junger Menschen nicht Zweifel hegen an ihren digitalen Gönnern. Dazu bedarf es „nur“ der kollektiven Verblendung. Und wie gelänge das besser, als mit dem Kapern unseres Bildungssystems? Widerstand seitens der Politik, aber auch jedes Einzelnen von uns, muss her. Intelligente Aufklärung, die das perfide Spiel der Datenherrscher durchschauen, hilft. Die Regierungen und Behörden müssen aber auch aufhören, jeder Big-Data-Verlockung der Multis nachzugeben. Das bedeutet für uns alle ein „Zurückzucken“ und ein bisschen Unbequemlichkeit – ziemlich wenig, verglichen mit dem ansonsten drohenden Verlust unserer Individualität und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

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